Pflanzenviren auf der Spur

(LIST)

Die agrarwirtschaftliche Produktion ist durch viele Herausforderungen gekennzeichnet. Das Auftreten von Pflanzenkrankheiten oder Schadinsekten ist eine davon und der Kampf der Menschen gegen diese Schadorganismen war bis in das 19. Jahrhundert hinein eine Frage des Überlebens der Menschen. 

Man denke hier an die Hungersnot in Irland von 1845-1849, die durch das Auftreten der Kraut- und Knollenfäule an der Kartoffel hervorgerufen wurde. Rund 1 Millionen Menschen starben damals. Und mancher kennt durch Erzählungen der Urgroßeltern das Absammeln der Kartoffelkäfer in den 1930er Jahren. Pflanzenschädlinge und Krankheiten haben also indirekt Geschichte gemacht und immer wieder hat ihr Auftreten zu einer Anpassung der Produktion geführt, die in den letzten 100 Jahren immer auf den chemischen Pflanzenschutz ausgerichtet war. Dabei waren auch die Produktionsmethoden auf den Einsatz dieser Produkte im Zusammenspiel mit Erntezeitpunkt, Bodenbearbeitung, Saatstärke etc. zu sehen. Man denke hier an die Nutzung von Glyphosat, das die reduzierte Bodenbearbeitung ermöglichte und dessen Ersatz durch Kreiselegge, Grubber und Co nur mit einer Vielzahl von Arbeitsgängen und erhöhten Kosten einen ähnlichen Wirkungsgrad erreicht. Durch die Beschränkung der Zulassung vieler Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe ist das Portfolio der Spritzmittel erheblich geschrumpft. Teilweise ist es bereits unmöglich, ein Wechsel von Produkten mit unterschiedlichen Wirkungsmechanismen zu finden, die die Ausbildung einer Resistenz des Schädlings gegenüber dem Spritzmittel vermeiden sollen. Als Beispiel kann hier die Pyrethroid-Resistenz des Rapsglanzkäfers gelten oder auch die Ackerfuchsschwanzresistenz. Hinzu kommt als eine neue Herausforderung, der Klimawandel, der – Hand in Hand mit der Globalisierung – zu einer schnellen Verbreitung einer Vielzahl neuer und mitunter hoch aggressiver Schadorganismen geführt hat, die teilweise aus dem asiatischen oder mediterranen Raum eingeschleppt wurden, z.B. dem Laubholzbockkäfer oder die Kirschessigfliege. Um die Situation noch etwas bedrohlicher zu machen, sind einige dieser neuen Schadinsekten in der Lage, durch Saugen an den Kulturpflanzen auch Pflanzenkrankheiten zu übertragen. Teilweise genügen einige Probestiche der Blattlaus oder der Weißen Fliege, um ein Pathogen (Viren, Bakterien und Phytoplasmen) zu übertragen. Die Produzenten von Pflanzenkartoffeln wissen, was gemeint ist!

Um dieser Herausforderungen aktiv entgegenzutreten, hat das Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) bereits vor vier Jahren begonnen, eine Infrastruktur in den Laboren zu schaffen, um durch gezielte Experimente, den Einfluss des Klimawandels auf das Wechselspiel zwischen invasiven Schadinsekten und deren Übertragung von Pflanzenkrankheiten an Nutzpflanzen zu untersuchen. Die Agrarwissenschaftler der Abteilung Agro-Environmental Systems vermuten durch den Klimawandel eine schnellere und effektivere Weitergabe von Pflanzenpathogenen. Es ist daher notwendig, den Einfluss des Klimawandels auf diese Schädlinge und den von ihnen übertragenen Pathogenen zu untersuchen, um frühzeitig Handlungsoptionen im Pflanzenschutz zu entwickeln und die landwirtschaftliche Produktion zu schützen (Bild A).

Ein gutes Beispiel ist das EU-Forschungsprojekt VIRTIGATION, an welchem LIST seit Sommer 2021 teilnimmt. Das Projekt besteht aus 24 Partnern (Forschungscentern, Universitäten, staatlichen Verwaltungen) aus 12 Ländern und beschäftigt sich mit dem Tomato leaf curl New Delhi virus (TOLCND), das durch die Weiße Fliege übertragen wird und an Tomaten, Gurken, Melonen und Zucchini dramatische Schäden in Nordeuropa und im Mittelmeerraum verursacht (Bild B). Bisher ist dieses Virus in Luxemburg noch nicht aufgetreten. Um nun aber den Einfluss des Klimawandels auf die Virusübertragung durch die Weiße Fliege zu untersuchen, wurde am LIST ein biologisches Sicherheitslabor eingerichtet. In enger Zusammenarbeit der Administration des Services Techniques de l'Agriculture (ASTA) wurde das Labor konzipiert und ein Sicherheitsleitfaden ausgearbeitet, bevor das Labor behördlich zugelassen wurde. Auf diese Weise können die Wissenschaftler am LIST mit diesem gefährlichen Pflanzenvirus arbeiten, ohne eine Verschleppung und Ausbreitung im Land zu riskieren. Das Quarantäne-Labor ist das einzige in der Großregion, in dem offiziell mit Pflanzenquarantäneschädlingen gearbeitet werden darf. Dabei bedarf jegliche Neueinführung von Quarantäne-Organismen in das Labor immer der Zustimmung der ASTA und des Pflanzenschutzdienstes des jeweiligen Export-Landes. Das TOLCND Virus wurde z.B. unter strengen Sicherheitsauflagen aus Spanien importiert. Das Labor am LIST besteht aus zwei separaten Räumen, die durch eine Luftschleuse verbunden sind und einen permanenten Unterdruck aufweisen. Der erste Raum mit der Biosicherheitsstufe 2 ist der Probenvorbereitung gewidmet und weist Klimaschränke für die Anzucht gesunder Pflanzen auf. Der zweite Raum mit Biosicherheitsstufe 3 ist ausschließlich für die Zucht und die Arbeit mit Pflanzenpathogenen und infektiösen Insektenüberträgern vorgesehen, die den Status „Quarantäneorganismus“ nach Einstufung der European and Mediterranean Plant Protection Organization (EPPO) besitzen. Die Klimakammern ermöglichen die Simulation verschiedener klimatischer Bedingungen und steuern grundlegende Parameter für die Pflanzen- und Insektenentwicklung wie Lufttemperatur, relative Luftfeuchtigkeit, CO2-Konzentration, Lichtspektrum und Intensität.

Im Fokus des Projektes VIRTIGATION untersucht das LIST im Detail die Virusübertragung von TOLCND unter veränderten klimatischen Bedingungen (Bild C). Aus vorhergehenden Versuchen ist bekannt, dass der Klimawandel den Lebenszyklus der Weißen Fliege massiv beschleunigt. Es wird daher auch vermutet, dass die Aufnahme des Virus aus befallenen Pflanzen und ebenso die Weitergabe an gesunde Pflanzen durch erhöhte Temperaturen beschleunigt wird. Damit würde sich die mögliche Ausbreitung des Virus, z.B. im Gewächshaus, aber auch im Freiland, dramatisch beschleunigen. Eine Bekämpfung der Weißen Fliege mittels synthetischen Insektiziden wird somit noch schwieriger, da einzelne Insekten mit einer entsprechenden Viruslast bereits eine Startinfektion im Pflanzenbestand verursachen können, bevor der Schädling vom Anbauer entdeckt wird. Auch der Einsatz von Gegenspielern im Gewächshaus wird dadurch weniger effizient, da diese nur bei sehr häufiger Ausbringung einen Nullbefall durch den Schädling herbeiführen können.

Interessanterweise zeigen Versuche am LIST aber auch, dass die Effizienz einzelner Gegenspieler, z.B. parasitoide Schlupfwespen, durch den Klimawandel steigt, allerdings zu Kosten der Langlebigkeit. Das wird einen Effekt auf den gezielten Einsatz von Nützlingen im Gewächshaus haben, der in häufigeren Anwendungen bei geringerer Nützlingsdichte resultieren wird. Insgesamt bemühen sich die Experten am LIST, die Wechselwirkungen zwischen Kulturpflanzen, ihren Schadinsekten und auch den spezifischen Gegenspielern ganzheitlich zu sehen. Der regelmäßige Austausch zwischen Wissenschaftlern aus verschiedenen Regionen Europas ist dabei ein Garant für die effiziente Erarbeitung von Lösungen auf der Basis des aktuellen Wissenstandes.

Momentan laufen die Untersuchungen im Rahmen des Projektes VIRTIGATION noch bis Mitte des nächsten Jahres. Das Projekt ist aber sicherlich von Interesse für die Produzenten von Tomate und Zucchini, die sich beim Newsletter des Projektes eintragen können. Sie werden dann monatlich mit den neuesten Informationen versorgt. Dieser Service ist kostenlos und hilft den Wissenschaftlern, ihre Ergebnisse direkt in den praktischen Anbau einzubringen. Der Link hierzu ist: https://www.virtigation.eu/virtigation-network/#german.

 

Artikel:

Michael Eickermann, Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST)

(Bild A)

(Bild B)

(Bild C)