Alcovit N° 508

Stallbau aktuell: (von Pit Bosseler)

Jungvieh – Die unbekannte Größe in der Milchviehhaltung

Die Jungviehaufzucht stellt die Grundlage für eine wirtschaftlich erfolgreiche Milcherzeugung dar. In Luxemburg betreiben die meisten Milchviehbetriebe die Bestandsergänzung ihrer Kühe im eigenen Betrieb und ziehen die weiblichen Rinder selbst auf. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen der neuen Agrarpolitik, den steigenden Kosten bei Kraftfutter und Grundfutterbereitung sowie den damit verbundenen begrenzenden Faktoren wie Fläche und Arbeit macht es als Milchviehbetrieb Sinn, sich Gedanken über eine mögliche Auslagerung der Jungviehaufzucht Gedanken zu machen.

 

Es gibt viele Argumente, die für die Aufzucht im geschlossenen Zyklus sprechen, wie zum Beispiel die Gesundheit der Tiere oder auch eine breite Selektionsmöglichkeit. Allerdings ist mit der Aufzucht auch viel Arbeit verbunden sowie auch Kosten, die oftmals unterschätzt werden. Der Milchverkauf ist die Haupteinnahmequelle und somit ist die Jungviehaufzucht oftmals eher ein unterschätzter oder gar vergessener Posten. Die Jungviehaufzucht ist aber nicht nur ein Kostentreiber, sondern kann über Zuchtviehverkäufe sogar zusätzliche Liquidität schaffen. Letzteres ist aber nicht für jeden Betrieb geeignet. Erstkalbealter und Reproduktionsrate haben entscheidenden Einfluss auf den Erfolg der Milchproduktion.

Sich den Kosten der Jungviehaufzucht bewusst sein
Die Aufzucht von der Geburt bis zur Kalbung kostet nach Berechnung des SER rund 2.400€, wenn man alle Kosten berücksichtigt. Pro Tag kostet die Aufzucht also 2,80€. Dies ist ein Teil der Produktion, der ausreichende Beachtung verdient, da sich hier viele Kosten verstecken und eventuell optimieren lassen. Die Futterkosten machen einen großen Teil der Aufzuchtkosten aus. Nimmt man das Grundfutter und das Kraftfutter zusammen, so machen diese Kosten insgesamt einen Anteil von 29% aus. Allerdings schlagen auch die Investitionskosten sowie Unterhaltungskosten in Gebäude und Maschinen mit einem sehr hohen Anteil von 30% zu Buche und auch die Arbeitskosten von rund 415 Euro beziehungsweise 17% sollten nicht vergessen werden. Häufig wird versucht, bei den variablen Kosten zu sparen, meist beim Futter, dabei sollte aber nicht missachtet werden, dass die fixen Kosten der Jungviehaufzucht mindestens genauso hoch sind, man diese allerdings nicht einfach verringern kann. Ein großer Teil der Kosten der Jungviehaufzucht bis hin zum 28. Monat stammt von den ersten 6 Monaten her. Allein um das Kalb bis zum 6. Monat aufzuziehen, fallen pro Kalb 768€ an. Dies sind ganze 4,57€ je Tag. Die 6 Monate repräsentieren somit 21% der Haltungsdauer (28 Monate), aber 32% der Aufzuchtkosten. Hier stellt der höchste Kostenpunkt ganz klar die Fütterung mit Milch beziehungsweise Milchaustauscher dar mit ganzen 25% der Gesamtkosten.

Jungvieh selbst aufziehen
Bleibt das Jungvieh im eigenen Stall, ist der Einfluss auf die Qualität am höchsten. So liegt es in der eigenen Hand, Erkrankungen vorzubeugen. Die eigene Nachzucht fügt sich auch aufgrund ihrer Abwehr gegen bestandsspezifische Erreger gut in die Herde ein. Mit einer gezielten Selektion und Anpaarung kann die Genetik der Herde gezielt entwickelt werden. Neben der gezielten Entwicklung der Herdenleistung können bereits auf dem Betrieb vorhandene Produktionsfaktoren optimal genutzt werden. Hierzu zählt zum einen die Nutzung von Altgebäuden, deren Umnutzung sonst mit erhöhtem Kostenaufwand verbunden ist, zum anderen aber auch die optimale Verwertung des Grundfutters aus dem dritten und vierten Schnitt.

Jungvieh vergeben oder zukaufen
Der größte Risikofaktor bei der Auslagerung der Jungtiere ist die Einschleppung von Krankheiten in den Betrieb. So können Mastitiserreger, Klauenkrankheiten wie Mortellaro und weitere Krankheiten in sonst gesunde Bestände eingeschleppt werden. In jedem Fall empfiehlt sich eine strikte Quarantäne vor dem Einstallen zugekaufter Tiere, eine 100%ige Sicherheit bietet diese aber nicht. Aus ökonomischer Sicht verbessert sich mit der Aufgabe der Jungviehaufzucht die Liquidität des Betriebes. Färsen müssen erst wieder in zwei Jahren zugekauft werden. Je nachdem, wie sich der Marktpreis für Färsen in dieser Zeit entwickelt, kann sich das Blatt auch wenden und die Tiere müssen zu einem deutlich höheren Preis als ursprünglich geplant wieder eingekauft werden. Auf der anderen Seite fällt die arbeitsintensive Aufzucht der Jungtiere weg. Es kann schnell ein erheblicher Teil an Arbeitszeit im Betrieb eingespart werden. Ein wichtiger Punkt, gerade für flächenarme Betriebe, ist der Wegfall von Mist und Gülle von Jungtieren, deren Aufzucht ausgelagert wird. Gleichzeitig wird auch der benötigte Lagerraum entlastet. Werden abgekalbte Färsen zugekauft, können diese zielgenau ausgesucht werden. Diesen Vorteil haben Betriebe mit eigener Nachzucht oft nicht. Hier belegen einzelne Tiere, die nicht den Leistungsansprüchen genügen, gleichzeitig aber auch nicht kostendeckend verkauft werden können, oftmals einen Stallplatz. Auch die bessere Planbarkeit der Remontierung stellt sich als Vorteil bei der ausgelagerten Jungviehaufzucht heraus. Färsen können gezielt zugekauft werden, sodass keine Alttiere früher als nötig ersetzt werden müssen. Ziel ist es, die Färsen mit maximal 26 Monaten abkalben zu lassen. Die Reproduktionsrate im Betrieb sollte maximal bei 33 % liegen. Die Reproduktionskosten pro kg ECM sollten sich unter 5 Ct belaufen. Werden diese Ziele nicht erreicht, sollte man sich über einen Zukauf von Tieren Gedanken machen. Grundsätzlich wird der Stallplatz über die Milchproduktion besser verwertet als über die Jungrinderaufzucht. Bei der Vergabe der Jungviehaufzucht müssen aber folgende Punkte beachtet werden:
- Die Verlässlichkeit der Vertragspartner,
- Die Gewährleistung einer leistungsgerechten Aufzucht,
- Eine eindeutige Vorgabe zum Gewicht, Impfung, Besamung sowie zum Alter bei Kauf und Verkauf.
Eine solche Spezialisierung bietet Chancen für beide Seiten. Milchviehbetriebe können deren Milchproduktion ausweiten und gleichzeitig die freiwerdenden Kapazitäten effektiver nutzen. So werden am Milchviehbetrieb „nur“ mehr Milchkühe und Kälber gehalten, die Verantwortung zur Jungviehaufzucht wird ausgelagert. Der Aufzuchtbetrieb kann für sich einen Betriebszweig schaffen, der auch im Nebenerwerb machbar ist. Vor allem ehemalige Milchviehhalter besitzen das notwendige Knowhow für eine erfolgreiche Jungviehaufzucht.

Für die partnerschaftliche Kalbinnenaufzucht gibt es zwei mögliche Abrechnungssysteme: Modell „Futtertagegeld“ und „Modell Ver- und Rückkauf“.

Variante mit Futtertagegeld
In diesem Modell werden für die Kosten betreffend Arbeit und Futter ein Wert pro Kalbin und Tag veranschlagt. Je nach Höhe dieses Wertes sind zusätzliche Leistungen wie Besamung, Behandlungs- und Tierarztkosten inbegriffen oder auch nicht. So wird ein höher angesetzter Tagsatz als „All-inclusive“ angesehen, niedrigere Tagsätze werden in der Endabrechnung einer aufgezogenen Kalbin um die Besamungs-, Behandlungs- und Tierarztkosten erweitert. Ein „All-inclusive Tagsatz“ vereinfacht die Abrechnung und ist mit vergleichsweise weniger Aufwand verbunden. Die andere Variante macht die Abrechnung vor allem für den Milchviehbetrieb transparenter und nachvollziehbarerer. Die Höhe des Tagsatzes ist immer als Vereinbarung zwischen Aufzuchtbetrieb und Milchviehbetrieb zu sehen. In Bezug auf den Abrechnungszeitraum wird dies unterschiedlich gehandhabt. So ist es bei solchen Kooperationen oft der Fall, dass die Abrechnung nach fertiger Aufzucht erfolgt (Endabrechnung ab fertiger Kalbin). Es kann die Abrechnung auch monatsweise erfolgen. Auch dies ist bei einer Vereinbarung zu berücksichtigen. Bei den Abrechnungsmodellen können gegebenenfalls auch Prämien bzw. Bonusbestandteile (z. B. betreffend Erstbesamungsalter) eingebaut werden.

Variante mit Ver- und Rückkauf
Der Aufzuchtbetrieb kauft das Kalb dem Milchviehbetrieb ab. Je nach Alter und Gewicht der Kälber werden die Ankaufspreise nach Durchschnittspreisen berechnet und können sich z. B. nach den letzten drei Versteigerungsterminen orientieren. Die trächtige Aufzuchtkalbin kann ca. 6 – 8 Wochen vor dem Abkalbetermin vom Milchviehbetrieb wieder zurückgekauft werden. Die Betonung liegt hier auf „kann“, da dies nicht unbedingt der Fall sein muss. Der Milchviehbetrieb hält sich ein gewisses Vorkaufsrecht vor, muss aber die Kalbin nicht rückkaufen – in dem Fall kann der Aufzuchtbetrieb eine Vermarktung seinerseits veranlassen. Das Modell An- und Rückkauf bedarf einer genauen Marktbeobachtung und klarer Vereinbarung nach welchen Marktpreisen ge- und verkauft wird. Es ist auch für beide Seiten notwendig, sich rechtzeitig über die Vermarktung der aufgezogenen Kalbin Gedanken zu machen.

Fazit
So oder so ist die Aufzucht des Jungviehs eine kostspielige Sache, die wohlüberlegt sein sollte, da Fehler hier hohe Verluste darstellen, da das Rind erst nach der ersten Kalbung Geld abwirft. Daher ist es umso wichtiger, sich intensiv mit den Kosten und auch den Alternativen auseinanderzusetzen. Ob das Jungvieh im Betrieb bleibt oder in die Aufzucht verkauft wird, muss letztendlich entschieden werden, indem die Aufzuchtkosten mit den Zukaufskosten abgekalbter Färsen der gleichen Qualität verglichen werden.