IVLB: „Wie tickt die Kuh?“

Am 5. Mai lud die Interessengemeinschaft Vermarktung Lëtzebuerger Biofleesch a.s.b.l alle Interessenten in den neuen Festsaal der Ackerbauschule nach Gilsdorf ein, um an einem Referat mit dem Schwerpunkt „Wie tickt die Kuh?“ teilzunehmen.

Als Gastredner war Herr Benito Weise vom Landwirtschaftlichen Bildungszentrum Echem geladen. Herr Weise, der am LBZ die überbetriebliche Ausbildung koordiniert und mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in der Aus- und Weiterbildung hat, hat sich in den vergangenen Jahren insbesondere mit dem Thema Tierwohl befasst. Er suchte nach neuen didaktischen Ansätzen, den Tierhalter einen etwas emotionaleren Zugang zu dem Tier zu ermöglichen. Das Thema „Sehfeld einer Kuh“ fesselte ihn, weil er merkte: Wenn man sich damit nicht gut auskennt, entstehen stressige und auch gefährliche Situationen.

Mit den Augen der Kuh
Rinder haben durch ihre seitlich am Kopf liegenden Augen einen Sichtbereich von 330°, jedoch ist dadurch ihr 3D-Sehvermögen stark eingeschränkt. Die Rinder haben direkt hinter sich einen toten Winkel. Tritt man also genau von hinten an sie heran, können sie das nicht sehen und erschrecken entsprechend.

Was man im täglichen Umgang mit den Tieren laut Gastredner auch wissen sollte: Das räumliche Sehvermögen ist durch die seitlichen Augen schlecht. Um räumlich zu sehen, müssen sich nämlich die Bilder beider Augen überschneiden. Weiter erklärte Herr Wiese, dass im Vergleich zum Menschen können Kühe nur 30 % sehen, unscharfe Konturen und Kontraste erkennen sie nur schwer. Ihr Bildauflösungsvermögen ist ebenfalls geringer, deshalb sollte man hektische Bewegungen im Umgang mit Rindern vermeiden.

Rinder haben Rezeptoren für blau und grün, sehen aber schlecht im Rot-Bereich. Ihr Farbsehvermögen ist also laut Referenten zu Menschen mit Rot-grün-Sehschwäche vergleichbar. Kühe sehen in der Nacht besser als der Mensch. Dafür ist eine reflektierende Schicht im Auge verantwortlich. Daher kann laut Weise nachts im Stall eine geringere Beleuchtungsintensität eingestellt werden (100 bis 150 Lux). Als Fluchttiere nehmen Rinder Bewegungen aber deutlicher wahr. Sie erkennen vierzig bis sechzig Bilder pro Sekunde. Wir dagegen sehen nur 25. Fuchtelnde Arme, hektische Bewegungen, flatternde Plastikbänder oder Baumzweige im Wind wirken daher stärker auf Rinder und machen ihnen schneller Angst als uns.

Die „Echemer Kuhbrille“
Um nachzuempfinden wie eine Kuh sieht hat Herr Weise die "Echemer Kuhbrille" entwickelt. Die Kuhbrille ermöglicht den Anwender ein Im-Moment-Sehen, ein visuelles Wahrnehmen der aktuellen Umgebung wie eine Kuh. „Die Kuhbrille ermöglicht einen unglaublichen Aha-Effekt“, erklärt der Gastredner. Zum Beispiel, wenn die Kuh vom Stall nach draußen tritt – und ein paar Sekunden lang erst mal stehen bleibt und nicht weiterlaufen will. Denn die Adaption, also die Anpassung der Augen an die Helligkeit, dauert bei den Tieren deutlich länger als bei uns Menschen. Mit Hilfe der Brille kann man sich ein Bild davon machen, wie die Kuh guckt. Dadurch können konkrete Rückschlüsse auf Verbesserungen in der Haltung und im Umgang mit den Tieren gezogen werden.

Akustische Erweiterung
Erfinder Benito Weise tüftelt längst an der Entwicklung einer Pferdebrille und auch an der Erweiterung der VR-Brillen um die akustische Wahrnehmung. Denn die ist mindestens genauso interessant und wichtig wie das Sehen. „Sowohl Kühe als auch Pferde sind Fluchttiere“, erklärt Weise, „das Gehör ist viel besser ausgebildet als das Sehen.“ Akustische Signale versetzen sie in Alarmbereitschaft.

In den automatisierten Stallungen werden Geräusche wie zum Beispiel von hydraulischen Motoren abgegeben, die wir in unserem Hörbereich nicht wahrnehmen, die Rinder aber sehr wohl. „Kühe hören bis zu 36.000 Hertz, Menschen nur bis 15.000 Hertz“, sagte Weise. Man habe Stressmomente entdeckt, von denen man zuvor nichts wusste. Der Redner nannte als Praxisbeispiel: „Die Melktechnik erzeugt etliche Geräusche im hochfrequenten Bereich, die Ursache dafür sein könnten, warum manche Kühe nicht in den Melkstand gehen wollen.“