Aus der Zeit gefallen –
Rapsblüte und Klimawandel
Der sichtbarste Beleg für den Einfluss des Klimawandels sind die Änderungen in der Pflanzenphänogie. Vom Landwirt bis zum Imker, vom Förster bis zum Winzer fallen Veränderungen in der Natur sofort auf, wie z.B. ein früher Austrieb der Weinreben oder der späte Zug der Vögel gen Süden. Langjährige und stetige Erfassungen in der Entwicklung unserer Kulturpflanzen können dabei wichtige Indikatoren sein, wie sie z.B. für den Winterraps im Rahmen des SENTINELLE Projektes an fünf Standorten (Mosel, Minette, Gutland und Ösling) in Luxemburg seit 2007 durchgeführt werden.
deschlüssel dienen dazu, die Wuchsstadien im Winterraps eindeutig zu erkennen und zu benennen. Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Code-Schlüssel, z.B. den KDC-Code, der in Frankreich verwendet wird. In Luxemburg bedienen wir uns der so genannten BBCH-Stadien. Der BBCH-Schlüssel ist ein Dezimalschlüssel. Es gibt neun so genannte Makrostadien: Keimung, Auflaufen/Blattbildung im Herbst, Blattbildung im Frühjahr, Längenwachstum, Knospenbildung, Blüte, Schotenbildung, Reife und Absterben. Jedes Makrostadium ist in mehrere Einzelstadien (Sekundärstadien) untergliedert. Für die Landwirte (und auch die Imker!) sind dabei besonders die Blütenstadien wichtig, die von BBCH 60 bis BBCH 69 reichen und das Blütestadium in mehreren Schritten umfassen. Die wichtigsten davon sind: Blühbeginn (BBCH 60, erste Blüte am Haupttrieb offen), die Vollblüte, (BBCH 65, 50% der Blüten am Haupttrieb offen, ältere Blütenblätter fallen bereits ab), sowie das Ende der Blüte (BBCH 69). Der nunmehr seit 2007 vorliegende Datensatz kann einen Eindruck vermitteln, wann der Winterraps in Luxemburg mit der Blüte beginnt (Abbildung 2), bzw. wie lange die Blüte in den einzelnen Regionen des Landes andauert (Abbildung 3). Für die Darstellung geben wir allerdings keinen Monatstag an, wie z.B. 14. März oder ähnliches, sondern wir verwenden den „Tag des Jahres“ (day of year, DOY), an welchem das BBCH-Stadium eintritt. Der 1. Januar ist also DOY 1, der 2. Januar ist DOY 2 usw. So umgehen wir auch Probleme mit dem Schaltjahr. Im Folgenden wird das deutlich, wenn wir uns den Blühbeginn des Raps in den letzten Jahren ansehen und für die Standorte vergleichen. Unberücksichtigt blieb in unserer Auswertung hingegen, ob eine Einkürzung am jeweiligen Standort im Frühjahr vorgenommen wurde (die kommt langsam aber sicher aus der Mode, dank der guten Züchtung), bzw. es blieb auch die jeweilige Sorte unberücksichtigt. Das wäre zwar schön, 20 Jahre im Anbau eine einzige Rapssorte zu testen, aber der züchterische Fortschritt ist – zum Glück – gigantisch (Und hier muss man auch noch mal die ausgezeichnete Arbeit der Landessortenkommission unterstreichen. Denn die Züchtung ist das eine, aber die Prüfung im Anbau ist das andere!). Die normale Halbwertszeit einer Rapssorte in der Praxis ist momentan maximal 4 Jahre (z.B. Exocet).
er Beginn der Rapsblüte ist ein wichtiger Termin. Einerseits beginnt nun für viele Insekten der Raps als Nahrungsquelle interessant zu werden und die erblühenden Felder werden intensiv beflogen. Abbildung 2 zeigt den Beginn der Winterrapsblüte (BBCH 60) an fünf Standorten, die in etwa die Regionen in Luxemburg abdecken, also Minette (Obercorn), Mosel (Burmerange), das Gutland (Christnach/Bettembourg) und das Ösling (Reuler). Zusätzlich wurden drei Zeitperioden gebildet (2007-2011 usw.), um die langfristigen Effekte durch die Klimaveränderungen besser erkennen zu können. Zunächst fällt auf, dass die Daten extrem streuen. Das bedeutet, dass einzelne Jahre „aus der Reihe tanzen“, z.B. durch längere Regenperioden etc. Man erkennt aber deutlich einen Trend zu einem früheren Blühbeginn für die drei Zeitperioden, z.B. an der Mosel für den Standort Burmerange von DOY 109 (=19. April) in den Jahren 2007-2011 auf DOY 101 (=11. April) in den Jahren 2017-2021. Das sind also 8 Tage innerhalb von knapp eineinhalb Jahrzehnten. Oder platt gesagt: alle zwei Jahre verschiebt sich der Blühbeginn um etwa einen Tag nach vorne. Sicherlich hat das immer zeitiger einsetzende Frühjahr hier einen Effekt. Man denke an den nicht existierenden Winter von 2015/2016 oder die frühe Erwärmung in 2024 mit Zuflug der Rapsschädlinge an der Mosel Ende Januar (!). Eine andere Erklärung wäre ein Sorteneffekt. Die Züchtung hat einen Trend zu frühen Sorten (mit allen Vor- und Nachteilen, ich würde ein weites Spektrum bevorzugen). So könnte diese „Verfrühung“ im Blühbeginn auch durch die Sortenentwicklung zu erklären sein. Aber die Daten reichen für diese Untersuchung nicht aus. Was man übrigens auch sehr schön sieht in Abbildung 2, das ist die zeitliche Verzerrung im Blühbeginn zwischen den Regionen im Land. Das Ösling hinkt immer zwischen 10 und 14 Tagen hinterher. Und das scheint auch so im Klimawandel zu sein. Wäre ja auch schlimm, wenn der Klimawandel die Unterschiede zwischen Mosel und Ösling verschwinden ließe.
Die Dauer der Rapsblüte
Die Dauer der Rapsblüte ist entscheidend. Kurze Blühperioden mit einer guten Bestäubung zeichnen sich durch eine sehr gleichmäßige Abreife aus und sind daher besser als Jahre mit einer sehr langen Blütezeit, die meist eine verzettelte Ernte verursachen. Man denke hier an 2023, wo der Regen Ende Juli einiges zerstört hat. Lange Blühperioden führen auch zu einer Photosyntheselücke für den Raps, d.h. die unteren Blätter sind schon am Haupttrieb abgefallen, während die ersten Schoten (grün = photosynthetisch aktiv) noch nicht groß genug sind, um die Photosyntheseleistung abzupuffern. Die Ertragsbildung im Raps ist hochkomplex, und ist auch durch die Einführung der Hybridsorten mit ihren ertragsstarken Seitentrieben nicht einfacher geworden.
Abbildung 3 zeigt die Blühdauer (in Tagen) für die einzelnen Standorte für drei verschiedene Perioden (2007-2011, etc.). Was zunächst auffällt, ist die Verlängerung der Blühdauer von teilweise bis zu 13 Tagen, z.B. an der Mosel in Burmerange von 23 Tagen (2007-2011) auf 36 Tage (2017-2021). Ein ähnlicher Trend zeichnet sich – mal mehr, mal weniger klar – an allen Standorten ab und liegt zwischen 10 und 15 Tagen. Das verblüfft zunächst! Wir haben also in den letzten 15 Jahren in Luxemburg eine „Verfrühung“ des Blühbeginns und dann gleichzeitig eine Verlängerung der Blüte. Über die Ursachen kann man nun lange nachdenken. Eine Idee wäre, dass die Umstellung von Linien- auf Hybridsorten in den letzten anderthalb Jahrzehnten diesen Effekt verursacht hat oder die stärkere Verwendung Azol-haltiger Produkte (Einkürzung, Bekämpfung der Weisstängeligkeit etc.). Azol bedingt einen Greening-Effekt, d.h. die Seneszenz der Pflanzen ist verzögert. Das kann beides dazu beigetragen haben, dennoch scheint es wahrscheinlicher, dass der frühe Vegetationsbeginn für die Verlängerung der Blüte verantwortlich ist. Eine frühe Erwärmung würde einen Wachstumsbeginn des Winterraps begünstigen, wobei dann einzelne Kälte- oder Regenperioden (wie 2024) diese Entwicklung dann wieder unterbrechen. Man spricht hier gerne vom „false spring“ (falscher Frühling), der die Vegetation und auch Organismen wie Bestäuberinsekten aktiviert, wobei dann Kälteinbrüche diese Entwicklung teilweise wieder unterbrechen. Es würde hier helfen, die Temperatursummen für die einzelnen Jahre sich einmal anzusehen. Für das Durchlaufen eines bestimmten Wachstumsstadiums muss eine bestimmte Temperatursumme durchlaufen werden. Man summiert dazu einfach die Tageshöchsttemperatur auf. Das sind sehr einzelne Modelle, die immer schon mal eine Erklärung bringen könnten. Beim Winterraps ist alles noch etwas komplizierter, denn für alle Entwicklungssstadien vor der Blüte sind Temperatur UND Sonneneinstrahlung von Bedeutung. Aber für den Blühbeginn ist es dann eher die Temperatur. Hintergrund ist, dass der Photosyntheseapparat (= Grünes Gewebe) durch die Blüten verdeckt ist. Aber dazu müsste man Pflanzenphysiologe sein, um das alles auszurechnen.
Letztlich sind die Daten für die Dauer der Blühperiode nicht ganz so eindeutig wie diejenigen zum Blühbeginn. Es scheint aber Beleg genug, dass die Vegetation erhebliche Änderungen erfährt, für die sich einerseits der Klimawandel verantwortlich zeichnet und die andererseits auch geänderter Kulturführung (Sortenspektrum, Einkürzung etc.) geschuldet sein können. Vermutlich bedingt das eine auch immer das andere. Das macht die Forschung im Ackerbau so spannend, aber auch so herausfordernd!
Vom Datensatz zur Entscheidungshilfe
Man muss an dieser Stelle hervorheben, dass diese Daten einzigartig in Europa sind. Mir ist nicht bekannt, dass phänologische Daten für ein ganzes Land über einen Zeitraum von 15 Jahren vorliegen. Es stellt sich nun die Frage: „Und was machen wir nun damit?“.
Dieser Datensatz in seiner hohen Qualität wurde am LIST für eine Modellierung verwendet. Das Ziel war es, ein Modell zur Vorhersage des Blühbeginns, der Vollblüte und der Blühdauer zu entwickeln. Verknüpft man ein solches Model mit einer Wettervorhersage, wäre es möglich der Praxis eine Entscheidungshilfe zur Verfügung zu stellen. Das könnte helfen, Pflanzenschutzapplikation einzusparen oder besser zu terminieren, z.B. beim Rapsglanzkäfer-management oder der Bekämpfung der Weisstängeligkeit.
Das Model wurde nun am LIST im letzten Jahr entwickelt. Der nächste Schritt wäre eine Web-basierte Applikation oder eine APP, wie es bereits andere Entscheidungshilfen aus dem LIST gibt, die in Zusammenarbeit mit der ASTA der Praxis zur Verfügung gestellt werden. Man muss betonen, dass es sich hier um ein statistisches Modell handelt. Die Übertragung auf andere Regionen in Europa ist also eingeschränkt, bzw. bedarf einer Validierung. Aber das Model kann noch mehr. In Verbindung mit Klimaprojektionen sind Aussagen zum weiteren Einfluss des Klimawandels auf die Rapsphänologie möglich. Das wäre dann eine wissenschaftliche Verwendung des Modells. Momentan arbeiten wir an diesen Auswertungen.
Es wäre interessant, nun weitere Datensätze zur phänologischen Entwicklung anderer Kulturpflanzen auszuwerten. Vor der wissenschaftlichen Analyse steht immer die Beobachtung im Feld. Und die kann nur in Zusammenarbeit mit der ackerbaulichen Praxis bestehen. Wir bedanken uns daher bei den Landwirten, die in den letzten Jahren mit uns zusammengearbeitet haben. Ebenso danken wir an dieser Stelle dem Ministère de l'Agriculture, de l'Alimentation et de la Viticulture für die Förderung des SENTINELLE Projektes und der Administration des services techniques de l'agriculture und dem Lycée Technique Agricole für die gute Kollaboration.
Text & Foto: Dr. Michael Eickermann, Dr. Jürgen Junk, LIST