Neues vom LIST:
Zu warm, um schön zu sein - Klimawandel und Schadinsekten

Am Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) beschäftigt sich die Gruppe Agro-Environmental Systems seit mehr als 15 Jahren mit dem Einfluss des Klimawandels auf die Wechselwirkungen zwischen Nutzpflanze und Schadinsekt.

Autor: Dr Matteo Ripamonti, Dr Michael Eickermann, LIST

Der Einfluss steigender Temperaturen, Trockenstress oder fehlender Winter auf das Schädlingsaufkommen kann dabei auf vielfältige Weise bereits anhand langjähriger Messreihen im Rahmen von Monitorings (z.B. SENTINELLE) festgestellt werden. Für die Schadinsekten im Winterraps, sehen wir bespielweise, einen eindeutigen Trend zu einer Verschiebung des Zufluges zu einem frühen Beginn. Für den Gefleckten Kohltriebrüssler konnte anhand von Feldbeobachtungen an fünf Standorten in den verschiedenen Regionen Luxemburgs eine eindeutige „Verfrühung“ festgestellt werden, z.B. trat der Schädling in der Region Everlange im Vergleich zur Zeitperiode 2007-2011 im Zeitraum 2017-2021 im Mittel 10 Tage früher auf.

Neben diesen Problemen, die der Klimawandel im Management der „etablierten“ Schadinsekten mit sich bringt, stellt im Gegenzug das Auftreten „neuer“ Schädlinge den Praktiker vor weitere Herausforderungen. Ein gutes Beispiel ist hier die Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus), die als Überträger einer bakteriellen Krankheit an Zuckerrübe gilt, dem Syndrome Basses Richesses (Syndrom des niedrigen Zuckergehalts). In den 1990er Jahren zunächst in Frankreich (Burgund und Jura) festgestellt, hat sich die Krankheit nach Norden ausgebreitet. 2024 waren schon rund 20% der Zuckerrüben-Anbauflächen Deutschlands befallen. In den letzten Jahren ist zudem die Zikade von der Zuckerrübe auf die Kartoffel übergesprungen. Bedingt durch den Klimawandel hat sich – nach Deutschen Studien – nicht nur das Verbreitungsgebiet der Zikade vergrößert und ihren Aktivitätszeitraum verlängert, sondern sie ist nun auch in der Lage, eine zweite Generation pro Jahr erfolgreich abzuschließen.

Rund 320 tierische Vektoren für Pflanzenkrankheiten sind in Europa bekannt. Als Vektoren werden Organismen beschrieben, die zur Übertragung von Krankheiten notwendig sind, quasi als eine Art „Injektionsspritze“. Rund 76% dieser Vektoren gehören zu den Pflanzensaugern, also Blattläuse, Weiße Fliegen, Schmier- und Wollläuse und Zikaden. Im Allgemeinen übertragen sie Pflanzenkrankheiten, die von Phytoplasmen, Bakterien und Viren hervorgerufen werden. Diese sind chemisch schwer zu bekämpfen, z.B. sind Antibiotika-Spritzungen aus gutem Grund in der EU nicht zugelassen. Deswegen gilt seither die Regel: Kontrolliere das Vektor-Insekt, um die Etablierung der dazugehörigen Pflanzenkrankheit zu verhindern. Besonders im Gemüse- und Zierpflanzenbau spielen Insekten als Vektoren von Pflanzenkrankheiten eine bedeuten Rolle. Hier finden vermehrt Nutzorganismen, wie Räuber oder parasitische Schlupfwespen, Eingang in das Bekämpfungskonzept und erlauben einen Pflanzenschutz ohne Einsatz synthetischer Pflanzenschutzmittel. Allerdings bedarf es einer gewissen Zeit, bis die Nützlinge die Schadinsekten dezimiert haben. Im Gegenzug können Viren durch Blattläuse bereits bei einem Probestich schnell übertragen werden, z.B. bei den zahlreichen Viren an der Kartoffel.

Am LIST wurden in den vergangenen Jahren in Klimakammer-Versuchen untersucht, wie der Klimawandel (steigende Temperaturen, steigende CO2-Konzentrationen) die Übertragung von Krankheitserreger durch Vektoren auf die Nutzpflanzen beeinflusst. Als Modelorganismus stand die Weiße Fliege (Bemisia tabaci) im Fokus der Untersuchungen, von der bekannt ist, dass sie sowohl schnell einen Starkbefall verursachen als auch effektiv Pflanzenviren übertragen kann. Zunächst konnte anhand unserer Versuche gezeigt werden, dass sich durch erhöhte Lufttemperaturen eine schnelle Entwicklung der Weißen Fliege einstellte. Einzelne Entwicklungsstadien des Insekts waren teilweise in ihrer Dauer um 2/3 reduziert. Damit wäre der Schädling in der Lage schneller eine ertragsrelevante Population im Freiland oder auch im Gewächshaus aufzubauen. Etwas komplizierter waren die Versuche mit den von der Weißen Fliege übertragenen Pflanzenviren, die bisher noch nicht in Luxemburg vorkommen. Für diese Experimente wurde eigens ein Quarantänelabor unter Aufsicht des Landwirtschaftsministeriums am LIST etabliert, um unter höchsten Sicherheitsauflagen diese Untersuchungen durchführen zu können. Im Rahmen des Projektes VIRTIGATION, das von der EU finanziert wird und in dem mehr als 20 Kooperationspartner aus Forschung, Beratung und Praxis vereint sind, wurde speziell am LIST die Übertragung des Tomato Leaf Curl New Delhi Virus (ToLCNDV) durch die Weiße Fliege unter Klimawandelbedingungen untersucht. Das Virus tritt bereits in der mediterranen Region auf und führt zu hohen Ertragsverlusten an Tomate und Zucchini.

Zunächst wurden Versuche durchgeführt, um zu sehen, wie sich die Aufnahme des Virus durch die Weiße Fliege durch den Klimawandel verändert. Dazu wurden Zucchinipflanzen mit dem Virus künstlich infiziert und drei Wochen später – nachdem sich das Virus in der Pflanze etabliert hatte – Weiße Fliegen in kleinen Käfigen auf den Blättern der Pflanzen für verschiedene Zeiträume aufgesetzt (2, 24 und 48 Stunden). Danach wurden diese Insekten abgenommen und auf gesunde Zucchinipflanzen für 48 Stunden aufgesetzt, damit sie das Virus übertragen konnten. Nach einer Latenzzeit von 3 Wochen wurde mittels molekularer Nachweismethoden festgestellt, ob eine Übertragung des Virus stattgefunden hatte. Fazit: Während sich unter derzeitigen Temperaturen nur ein geringer Virusbefall durch die Weiße Fliege als Überträger zeigte, waren unter Klimawandelbedingungen rund 75% der Versuchspflanzen durch das Virus befallen. Die Aufnahme des Virus, so genannte Akquisition, wird durch das Schadinsekt in Zukunft effizienter werden.

Danach wurde getestet, ob die Weitergabe des Virus vom Insekt an gesunde Pflanzen durch den Klimawandel beeinflusst wird. Wieder wurden Zucchinipflanzen künstlich mit dem Virus infiziert. Diesmal hatten die Weißen Fliegen 48 Stunden Zeit, das Virus durch Saugen am Blattgewebe aufzunehmen. Danach wurden sie für verschieden Zeiträume auf gesunde Pflanzen aufgesetzt (2, 24 und 48 Stunden) und danach entfernt. Drei Wochen später wurde wiederum mit molekularen Methoden der Befall der Zucchinipflanzen getestet. Während unter derzeitigen Klimabedingungen nur rund 30% der Pflanzen einen Virusbefall aufwiesen, konnte unter erhöhten Temperaturen ein Anstieg der Infektionen auf rund 60% nachgewiesen werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Klimawandel nicht nur eine schnellere Aufnahme, sondern auch eine effektivere Weitergabe des Virus durch die Weiße Fliege ermöglicht. Damit rücken Schadinsekten als Überträger von Pflanzenkrankheiten deutlich in den Fokus des Pflanzenschutzes. Wie effektiv beispielsweise der Nützlingseinsatz in den Unterglaskulturen zur Schädlingskontrolle noch sein wird, wenn die Übertragung von Pflanzenviren durch den Klimawandel deutlich schneller ablaufen wird, ist noch zu prüfen. Es bleibt aber zu vermuten, dass sowohl etablierte Schädlinge aber auch neu eingeschleppte oder zugewanderte Schädlingsarten oder neue Pflanzenviren an Bedeutung gewinnen werden.

Danksagung
Wir danken dem Ministère de l'Agriculture, de l'Alimentation et de la Viticulture für die gute Zusammenarbeit beim Aufbau des Quarantänelabors. Die oben zusammengefassten Ergebnisse wurden im Rahmen des Projektes SENTINELLE (finanziert durch das Landwirtschaftsministerium), TWICE (finanziert durch FNR, Fördernummer 13528573) und VIRTIGATION (Horizon H2020-SFS-2020-2, Fördernummer 101000570) erzielt. Die verwendeten Klimaprojektionen wurden im Rahmen des CHAPEL Projektes durch das Ministère de l’Environnement, du Climat et du Développement du Luxembourg finanziert.

 

Erste Zuwanderung des Gefleckten Kohltriebrüsslers (angegeben als DOY = Day of year) an fünf verschiedenen Standorten in Luxemburg in den Zeiträumen 2007-2011, 2012-2016 und 2017-2021.

Die Weisse Fliege ist ein klassischer Vektor für Pflanzenviren @ Ripamonti.

Symptome des Tomato Leaf Curl New Delhi Virus (ToLCNDV) @ Ripamonti.