Lebendiges UNESCO Weltkulturerbe: Dreistufenlandwirtschaft im Bregenzerwald

 

Mit der Erwartung in einen „Wald“ zu fahren, braucht sich niemand in die Region zwischen dem Bodensee im Westen und dem Hochtannbergpass im Osten aufzumachen. Der Bregenzerwald ist eine der reizvollsten Regionen im österreichischen Bundesland Vorarlberg und ist eine Kulturlandschaft, die durch Wiesen und Alpen geprägt ist. Wiesen und Alpen sind auch die Grundlage für eine der ur­sprünglichsten Formen der Landwirtschaft im Alpengebiet – der Dreistufenlandwirtschaft.

 Der Bregenzerwald ist geprägt von teils engen Tälern zwischen Bergen, von denen mehrere die 2.000 m Grenze überschreiten. Der Grund der Täler bietet nicht den Platz für ausgedehnte Flächen, jeder verfüg­bare Winkel wird als Wiese genutzt. Die größten Ortschaften befinden sich immer dort, wo auch das Tal den meisten Raum lässt. Der knappe Wiesengrund reicht dem Milchvieh nicht als ganzjährige Futtergrundlage und so waren die Bewohner schon früh gezwungen in höher gelegene Gebiete auszuweichen.

 

Seit 2010 Weltkulturerbe

 Erste Schritte, diese damals noch unerschlossene Wildnis urbar zu machen, wurden schon in der Römerzeit unternommen. Auf sie folgten die Alemannen, die weiter Wald für die Weidewirtschaft rode­ten und Allmenden (Gemeindewei­den) anlegten. Hier liegt denn auch der Ausgangspunkt für die Dreistu­fenwirtschaft. Diese Bewirtschaf­tungsform ist so einzigartig und eng mit der Region des Bregenzerwaldes verbunden, dass die UNESCO sie 2010 als immaterielles Weltkulturer­be anerkannte.

 In der Theorie ist die Dreistufenland­wirtschaft einfach erklärt: sind im Frühjahr die Talweiden und Futter­vorräte erschöpft, zieht das Milchvieh auf die, Vorsäß genannten, Gemein­schaftsweiden, die sich auf ca. 1.000 Meter Seehöhe befinden. Sind auch diese erschöpft, zieht das Vieh weiter bergauf in die bewaldete, subalpine Region auf meist gemeinschaftliche Alpen. Im Spätsommer tritt das Vieh dann die umgedrehte Reise zurück ins Tal an.

 Diese kurze Zusammenfassung, die­ser speziellen Form der Viehwirt­schaft wird aber ihrer Bedeutung nicht gerecht. Nur durch die Erfah­rung, die über Jahrhunderte von Generation zu Generation weiterge­geben wurde, lässt sie sich praktizie­ren. Und neben einer Menge Idealis­mus braucht es wahrscheinlich auch den Respekt vor der hier übermäch­tigen Natur, um diese Tradition am Leben zu halten.

 Im knapp 1.000 Einwohner zäh­lenden Schoppernau im Tal der Bregenzer Ache, im hinteren Bre­genzerwald lässt sich die Dreistufen­landwirtschaft hautnah erleben. Wo im Winter die Skitouristen die Pisten herunterjagen, grasen im Sommer die Kühe auf den Alpen und Vorsä­ßen. Von den rund 4.763 ha Gemein­degebiet sind 333 ha Grünland und 1.699 ha Alpfläche, die auf 17 Alpen verteilt ist. Ca. 2.600 Tiere werden dort den Sommer über gealpt.

 Einer der 22 landwirtschaftlichen Betriebe im Ort bewirtschaftet die Familie Albrecht. Ca. 15ha bewirt­schaften August Albrecht mit seiner Frau Christine sowie den Kindern: Ramona, Manuela, Lisa-Marie und Stefan. Der Brown-Swiss-Zuchtbe­trieb hält momentan 13 Kühe inklusi­ve Nachzucht. Womit er im Mittelfeld der Betriebe im Ort liegt - der größte Betrieb hält 25 Kühe.

 

Moderner Laufstall im Tal

 Im Tal befindet sich der 2004 gebau­te moderne Laufstall mit Laufhof. Im Winter sehen die Kühe von hier aus direkt auf Skilift und Piste. Gemol­ken wird in einem Auto Tandem- Melkstand. Über dem Stall befindet sich das Heulager mit Trocknung. Direkt angrenzend das Wohnhaus und als 2. Standbein neben der Land­wirtschaft, zwei Ferienwohnungen.

 Im Sommer geht es für das Jungvieh von hier aus auf die Alpe Körb. Diese befindet sich auf rund 1.700 m Höhe auf dem Hochtannbergpass, an der Grenze zum Lechtal. Insgesamt wer­den hier rund 400 Stück Jungvieh aufgetrieben und verbringen den Sommer dort. Betreut werden die Tiere dort von einer Hirtenfamilie, die den Sommer über auch dort wohnt. Wie sehr die Dreistufenwirtschaft hier im Leben der Menschen veran­kert ist, zeigt auch der Umstand, dass die Kinder von Hirtenfamilien wäh­rend der Alpsaison von der Schule befreit werden können.

 Für die Milchkühe der Familie Albrecht geht es gegen Ende Mai zu Fuß auf rund 1.000 m Seehöhe, zum rund 30 ha großen Vorsäß „Vorder­hopfreben“ am Ortsende von Schop­pernau. In der eigenen Vorsäßhütte verbringt die Familie 4 - 5 Wochen gemeinsam ihre Zeit mit den Kühen. Die Hütte wurde 1844 gebaut, nach­dem damals alle Hütten am Vorsäß durch einen Lawinenabgang zerstört wurden.

 Die Weide am Vorsäß ist gemein­schaftlich aber jeder der 10 Landwirte, die dort ihr Vieh auftreiben, hat seine eigene Hütte in der Wohnraum und Stall vereint sind. Gemolken wird per Eimermelkanlage, ohne Pumpe, vor allem um die Qualität des Milchfet­tes für das anschließende Käsen zu erhalten. Die Milch wird nach dem Melken direkt zur gemeinschaftli­chen Sennerei am Vorsäß gebracht. Die Verarbeitung zu Bergkäse findet direkt vor Ort statt. Das Vorsäß ist im gemeinschaftlichen Eigentum. Der jeweilige Anteil daran wird, genau­so wie die Hütte, von Generation zu Generation vererbt.

 

Im Sommer auf 1700m

 Nach der Zeit auf dem Vorsäß geht es Ende Juni für die Kühe weiter zur Alpe. Die Albrecht‘s sind eine von 12 Familien, die ihre Kühe zur Alpe Vorderüntschen auftreibt. Auf rund 1.700 m Seehöhe verbringen hier 90 Kühe den Sommer auf ca. 85 ha. Zur Betreuung der Tiere sind 6 Personen vor Ort. Auch hier wird die Milch direkt verarbeitet. Bergkäse und But­ter entstehen so direkt auf der Alpe.

 Während das Vieh auf den Alpen versorgt wird, liegt der Schwer­punkt im Tal auf der Futterversor­gung für den Winter. Beim „Heuen“ ist dann auch alles auf den Beinen, um innerhalb der wenigen geeigne­ten Tage den notwendigen Winter­vorrat anzulegen. Jede Wiese bis in die Steilhänge der Berge hinein, bei der eine Heuwerbung einigermaßen aussichtsreich ist, wird gemäht. Der Maschinenpark, der dazu zur Verfü­gung steht, geht vom Standartschlep­per mit Kreiselmäher, über spezielle Bergtraktoren und Spezialmäher für den Steilhang bis hin zur Motor- und Handsensen. Keine noch so kleine Ecke mit Gras wird ausgelassen. Jeder Halm zählt hier, um die not­wendigen Wintervorräte anzulegen.

 Auch Bröckelverluste gilt es zu minimieren, daher wird kein Heu komplett auf der Wiese getrocknet - Heutrocknung ist obligatorisch. Bei Familie Albrecht wird per Dachab­saugung getrocknet. Für schwieri­ge Wetterlagen steht auch noch ein Heizölofen in Reserve bereit.

 Im Tal kann mit 3-4 Schnitten gerech­net werden. Bei höher gelegenen Wiesen ist, aufgrund des flachgrün­digen Bodens und der begrenzten Vegetationsperiode oft nur ein Schnitt möglich.

 Auch am Bregenzerwald geht der Klimawandel nicht spurlos vorüber. Wenn man im Sommer 2022 dort­hin kam, traute man angesichts dür­rer Wiesen in der Heimat, seinen Augen nicht. Hier war alles saftig grün. Und doch täuschte der Ein­druck. Auch hier fehlte Regen und die sonst übliche Menge Heu konn­te nicht geerntet werden. Außerdem war zum Zeitpunkt des Abtriebs von der Sommer-Alpe das Gras auf dem Vorsäß im Wachstum schon zu weit fortgeschritten– die Qualität des Gra­ses und damit auch die Milchleistung litt darunter.

Mindestens 60 Tage müssen die Tiere auf den Alpen bleiben, um die Alpförderung zu bekommen. Aber auch so ist dann der Futtervor­rat in der Höhe aufgebraucht und das Wetter beginnt umzuschwen­ken. Schneefälle sind dann schon möglich. Daher geht es gegen Ende August wieder zurück aufs Vorsäß. Hier können die Kühe sich noch ein­mal am frischen Grün laben, bevor es dann Mitte September in einem feierlichen Alp-Abtrieb zurück in die Ställe ins Dorf geht.

 

55 Ct/kg Milchpreis

 Der Lohn der ganzen Arbeit ist neben dem Stolz auf die eigene Tra­dition und dem Bewusstsein aktiv an der Erhaltung einer Kulturlandschaft mitgewirkt zu haben, auch Heumilch in hoher Qualität. 55 Ct/kg wurden im Sommer 2022 ausbezahlt. Die meisten Betriebe in Schoppernau sind Mitglied in der Genossenschaft Bergkäserei Schoppernau. Neben Butter wird hier hauptsächlich Berg­käse hergestellt. Die Vermarktung der Produkte erfolgt zu ¼ direkt ab Sennerei. Der Rest geht in den Handel oder wird von Großhändlern abgenommen.

 Der gezahlte Milchpreis ist im Ver­hältnis zu der Arbeit und dem Auf­wand, der hier betrieben werden muss um Milch zu erzeugen, alles andere als üppig. Der Nachteil der Dreistufenlandwirtschaft, so sagt August Albrecht ist, dass nicht ein, sondern drei Gebäude unterhalten werden müssen. Dazu der Aufwand, der unternommen werden muss, um die Weideflächen im Gebirge zu unterhalten. Das Frühjahr startet hier beispielsweise regelmäßig mit dem Beseitigen von Geröll und Holz von den Alpen.

 In Schoppernau lebt daher auch kaum jemand mehr hauptberuflich von der Landwirtschaft. Und den­noch gibt es selten ein Betrieb, der mit der Landwirtschaft aufhört. Die meisten Betriebe in Schoppernau und Umgebung sind heute Neben­erwerbsbetriebe. Der Tourismus bie­tet im Sommer, wie im Winter, eine zusätzliche Einnahmequelle. Auch August Albrecht hält es so. Neben der Landwirtschaft und den 2 Feri­enwohnungen, ist er bei der Allgäuer Weissachmühle im Futtermittelver­kauf für die Regionen Rheintal und Bregenzerwald tätig - ein flexibler Job der gut zur Arbeit auf dem hei­mischen Betrieb passt.

 Wie es in Zukunft mit der Dreistu­fenlandwirtschaft im Bregenzerwald weiter gehen wird, bleibt abzuwar­ten. Dies wird wohl nicht nur am Milchpreis entschieden. Vielmehr wird die Zukunft der Landwirtschaft hier daran entschieden, ob sich noch Enthusiasten finden, die bereit sind diese immense Arbeitsbelastung auf sich zu nehmen, um dieses immateri­elle Weltkulturerbe zu erhalten.